Tibiadefekt: Fehlbildung des Schienbeins

Der Tibiadefekt ist eine seltene und meist einseitig auftretende, angeborene Fehlbildung des Schienbeins (Tibia). Sie kann bei Ihrem Kind von einer Unterentwicklung, der sogenannten Minderanlage (Hypoplasie), bis hin zu einem vollständig fehlenden Schienbeinknochen (Aplasie) reichen.

Bei den meisten Kindern liegen zusätzliche Veränderungen am Oberschenkel und Fuß sowie in manchen Fällen auch am Kniegelenk vor. Darüber hinaus kann eine Fehlbildung des Schienbeins mit anderen seltenen Fehlbildungen oder Syndromen einhergehen, wie einer Spaltbildung im Fuß mit einseitiger Gabelung des Oberschenkelknochens (Gollop-Wolfgang-Syndrom) oder einer Zehen-Fehlbildung, bei der meist die dritte und vierte Zehe betroffen sind (Polysyndaktylie-Syndrom).

Ursachen

Die Ursache für eine Fehlbildung des Schienbeins kann genetisch bedingt sein, bleibt in den meisten Fällen jedoch unklar.

Symptome

Die Symptome eines fehlgebildeten Schienbeins sind abhängig davon, wie stark die Fehlbildung bei Ihrem Kind ausgeprägt ist. Die Schwere können wir anhand eines Röntgenbildes mithilfe der Einteilung (Klassifikation) nach Kalamchi und Dawe bestimmen, um geeignete Behandlungsmethoden abzuleiten:

  • ​​​​​​​​​​​​​​​​Typ I: Das Schienbein (Tibia) fehlt vollständig, der Fuß ist nach innen abgekippt und es können zu wenige (Minderanlage) oder zu viele (Mehranlage) Zehen ausgebildet sein.
  • Typ II: Der untere Teil des Schienbeins fehlt, das Kniegelenk ist erhalten.
  • Typ III: Das untere Schienbein ist unvollständig entwickelt (Minderanlage) und die Sprunggelenksgabel fehlgebildet.

Behandlungsmethoden

Die Behandlung eines fehlgebildeten Schienbeins (Tibiadefekt) richten wir vor allem am Alter Ihres Kindes und danach aus, wie stark die Funktionen von Kniegelenk und kniestreckender Muskulatur beeinträchtigt sind.

Hierfür stehen uns konservative und operative Maßnahmen zur Verfügung, die wir kombinieren können, um die bestmöglichen Behandlungsergebnisse für Ihr Kind zu erzielen.

Konservative Behandlungsmethoden

Wenn die Fehlbildung sowie der Beinlängenunterschied bei Ihrem Kind nur leicht ausgeprägt sind und die Gelenkfunktion des Knies weitgehend intakt ist, kann bereits eine ausgleichende Schuherhöhung helfen. Bei einer stark ausgeprägten Fehlbildung können wir eine individuell auf Ihr Kind angepasste prothetische Versorgung sicherstellen, die Ihrem Kind ermöglicht, weitgehend eigenständig zu laufen und beweglich zu sein. Unsere erfahrenen Physio- und Ergotherapeuten unterstützen dabei, das Gehen zu trainieren, die Selbständigkeit zu erlernen und ein gutes Körpergefühl im Umgang mit der Prothese zu entwickeln.

Operative Behandlungsmethoden

Unter Berücksichtigung der Kniegelenksfunktion können wir Fehlbildungen am Fuß (Fußdeformität), Fehlstellungen der Beinachse und größere Beinlängenunterschiede aufgrund eines fehlgebildeten Schienbeins (Tibiadefekt) operativ korrigieren. Ein wesentliches Problem bei dieser Krankheit ist das instabile Sprunggelenk, welches durch operative Maßnahmen korrigiert werden kann, um stabile Fußverhältnisse wiederherzustellen.

Der Beinlängenunterschied wird je nach der Ausprägung mittels verschiedenen Operationsmethoden korrigiert, wie die Wachstumsbremsung auf der gesunden Seite, ein äußerlich angebrachtes Spannsystem (Fixateur Externe) oder einem im Knochen verankerten Nagelsystem (Marknagel). Wenn die Beinlängen bei Ihrem Kind stark voneinander abweichen, das Kniegelenk jedoch intakt ist, können wir den Unterschenkel möglicherweise knöchern nachbilden, indem wir das Wadenbein in einer Operation unter das vorhandene obere Schienbein (Tibia) stellen.

​​​​​​​In manchen Fällen ist eine Nachbildung (Rekonstruktion) nicht möglich oder ausreichend. Dann kann es sinnvoll sein, den Unterschenkel bei Ihrem Kind komplett zu entfernen (Amputation), um ihn durch eine moderne prothetische Versorgung zu ersetzen, die sowohl einen optischen als auch einen funktionalen Ausgleich schafft.

Operative Beinverlängerung: Fixateur Externe

Als Fixateur Externe wird ein Spannsystem bezeichnet, das mit Schrauben von außen über die Haut an mehreren Stellen in dem Knochen befestigt wird, der verlängert werden soll. Das System lässt sich so verstellen, dass der Knochen durch ein schrittweises Auseinanderdrehen der Stellschrauben nach und nach gestreckt und dadurch verlängert wird. Auch zusätzlich bestehende Achsabweichungen können darüber korrigiert werden. Das Spannsystem kann entweder ringförmig um das Bein liegend oder seitlich am Bein (monolateral) angebracht werden. Ob ein Fixateur Externe für Ihr Kind in Frage kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Hierzu beraten wir Sie gerne individuell.

Operative Beinverlängerung: Marknagel (intramedullärer Verlängerungsnagel)

Um die Beinverlängerung bei Ihrem Kind millimetergenau und ohne äußerliche Fixierung vorzunehmen, setzen wir sogenannte Marknagelsysteme ein. Über mit hochmoderner Technologie ausgestattete Verlängerungsnägel, die in den betroffenen Knochen versenkt werden, lässt dieser sich mithilfe einer magnetgesteuerten Fernsteuerung schrittweise von außen verlängern. Die besonders schonende Methode ermöglicht es, dass Sie die Nachversorgung zu Hause selbst weiter durchführen können. Die weiteren Kontrollen werden ambulant in regelmäßigen Abständen durchgeführt. Der Marknagel kann so lange im Knochen verbleiben, bis die gewünschte Verlängerung (maximal acht Zentimeter) erreicht und die neu gewachsene Knochenstrecke stabil belastbar ist. Unter bestimmten Bedingungen eignet sich dieses Verfahren für Ihr Kind und wir beraten Sie dazu gerne ausführlich.

Unsere Spezialisten

Dr. med.
Stephan Wieser
Facharzt Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie, Kinderorthopädie, Manuelle Medizin, Notfallmedizin, Sportmedizin

Therapiemöglichkeiten

Die physiotherapeutische Behandlung bei Patient:innen mit Tibia- und Fibuladefekt erfolgt angepasst an den individuellen Befund und das Alter. Je nach ärztlicher Behandlungsmethode (konservativ oder operativ), kommen verschiedene Therapiemaßnahmen zum Einsatz.

Die altersgerechte Entwicklungsförderung findet durch neurophysiologische Behandlungsmethoden mit dem Schwerpunkt auf eine symmetrische motorische Entwicklung statt.

Die Anpassung und Austestung der Orthese bzw. Prothese erfolgt in der Klinik in enger Zusammenarbeit von ärztlichem Dienst, Therapeuten und Orthopädietechnikern. Unsere erfahrenen Physio- und Ergotherapeuten unterstützen Ihr Kind zudem begleitend mit dem Ziel, einen möglichst alltagstauglichen Umgang mit der Prothese, z.B. Handling (An -und Ausziehen), zu entwickeln.

Bei unseren kleinen Patient:innen steht zunächst die Akzeptanz der Versorgung und das Aufstehen, Stehen, Seitwärtsgehen bis zum freien Gehen sowie Sturztraining, im Vordergrund.

Ab dem Schulkindalter gewinnt die intensive Gangschule mit der orthopädietechnischen Versorgung am Laufband bzw. mit oder ohne Gehhilfe an Bedeutung.  Das Behandlungsziel sollte die achsgerechte Vollbelastung des betroffenen Beines sein. Die intensivierten Maßnahmen umfassen zudem das Kraft- und Ausdauertraining unter dem Prinzip der Trainingstherapie, sowie mobilisierende Maßnahmen.

Nach einer operativen Maßnahme stehen die Verbesserung der aktiven und passiven Beweglichkeit durch Manuelle Therapie, Kräftigungsübungen und Weichteiltechniken im Vordergrund.

Langfristig ist uns die Hinführung zu sportlichen Aktivitäten ein Anliegen. Dies kann zum Beispiel Klettern, Tischtennis, Schwimmen oder Radfahren sein.

Haben Sie Fragen?

Ob Fragen über Behandlungsmöglichkeiten, Terminvereinbarungen oder Informationen über unsere Fördermöglichkeiten - wir beraten Sie gerne!

Wir sind für Sie da!