Infantile Cerebralparese (ICP)

Bei der Infantilen Cerebralparese (ICP) handelt es sich um eine Störung des sich entwickelnden Gehirns.

Ursachen

Die Ursache für die Schädigung ist meist eine Anlage- oder Reifungsstörung, Blutung oder Durchblutungsstörung des Gehirns (Cerebrums) während der Schwangerschaft, um die Geburt oder in den ersten Lebenswochen des Säuglings.

Symptome

Die körperlichen Beeinträchtigungen können bei der Infantilen Cerebralparese von leichten motorischen Schwierigkeiten bis zu schwerwiegenden Einschränkungen reichen.

Je nach Art, Lage und Ausmaß der Schädigung des Zentralnervensystems sind cerebrale Bewegungsstörungen von Armen, Beinen und/oder Rumpf auffällig. Es kann nur eine Körperhälfte beeinträchtigt sein (Hemiparese) oder beide Beine (Diparese) oder der gesamte Körper (Tetraparese).

Die Grunderkrankung bleibt lebenslang bestehen, schreitet aber nicht voran. Neben den Symptomen am Bewegungsapparat bestehen unter Umständen zusätzlich relevante Einschränkungen bezüglich Seh-/Hörvermögen, Sprache, Wahrnehmung und Gleichgewicht. Mit dem Krankheitsbild können auch Verhaltensauffälligkeiten, Epilepsie und geistige Beeinträchtigungen vergesellschaftet sein.

Die gebräuchlichste Klassifikation unterscheidet zwischen verschiedenen Subtypen der Infantilen Cerebralparese, der unilateral-spastischen ICP, der bilateral-spastischen ICP, der dyskinetischen ICP und der ataktischen ICP.

Der häufigste Subtyp der Infantilen Cerebralparese ist die spastische Form der Cerebralparese. Neben dem erhöhten Muskeltonus fallen neurologische Zeichen wie pathologische Reflexe und abnorme Bewegungsmuster auf. Es kann nur eine Körperhälfte betroffen sein (unilateral) oder beide Seiten (bilateral).

Bei der ataktischen Cerebralparese werden initiierte Bewegungen mit abnormer Kraft, Genauigkeit und Geschwindigkeit durchgeführt, betroffene Kinder haben Schwierigkeiten mit Koordination und Gleichgewicht.

Bei der dyskinetischen Cerebralparese treten unwillkürliche, stereotype Bewegungen auf, während die Willkürbewegungen oft verzerrt wirken.

Veränderungen des Muskeltonus und der Muskelkraft führen - insbesondere während des Wachstumsalters - regelhaft zu Muskelverkürzungen, sogenannten Kontrakturen. In der Folge können auch weitere Strukturen verkürzen (z.B. Kapsel, Haut) und die Beweglichkeit der zugehörigen Gelenke dauerhaft einschränken. Mit der Zeit entstehen dadurch relevante Deformitäten und/oder Deformierungen als sekundäre Fehlstellung, insbesondere der unteren Extremitäten und des Rumpfes.
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Die orthopädischen Probleme bei ICP-Patienten können daher vielfältig sein: neuromuskuläre Skoliosen, dezentrierte Hüftgelenke, Achs- und Drehfehler der langen Röhrenknochen, Längenunterschiede der Beine, Bewegungseinschränkung der Knie. Zudem kommen alle Formen von neurogenen Fußfehlstellungen vor, die je nach klinischem Bild als spastischer Spitzfuß, Knickplattfuß, Klumpfuß, Hackenfuß, Hohlfuß etc. bezeichnet werden. Jede Fehlstellung an Extremitäten und/oder Rumpf kann wiederum ungünstige biomechanische Auswirkungen auf Sitz, Stand und Gang haben und Schmerzen bedingen.
 

Behandlungsmethode

Eine frühzeitige kinder-/neuroorthopädische (Mit-)Behandlung ist sinnvoll. Die meisten der betroffenen Kinder werden im zweiten Lebensjahr erstmalig ambulant bei uns vorgestellt, da eine verzögerte motorische Entwicklung oder besondere Bewegungs- und Haltungsmuster beobachtet werden. Bei der klinischen Untersuchung fällt eine Tonusänderung der Muskulatur auf, das heißt eine reduzierte (hypotone) oder übermäßige (spastische) Spannung betroffener Muskelgruppen.

Bei Kindern mit genannten Symptomen oder der gesicherten Diagnose ICP ist ein bis zwei Mal jährlich eine orthopädische Befunderhebung ratsam. Auch bei Kindern mit einer nicht infantilen, sondern erworbenen Schädigung des Zentralnervensystems (nach Trauma, Infarkt, Entzündung oder ​​​​Tumor) ist eine kinder-/neuroorthopädische Anbindung sinnvoll.
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Im Rahmen der körperlichen Untersuchung wird die Spontanmotorik (im Liegen/Sitzen/Stehen/Laufen) beurteilt, die passive Beweglichkeit, der Muskeltonus, die Muskelkraft, die Sensibilität und Koordination. Bei geführten, langsamen Bewegungen können sich in der Regel zunächst alle Gelenke frei durchbewegen lassen und die Vorzugshaltung von Händen, Füßen, Rumpf und Kopf lässt sich korrigieren.

​​​​​​​Befundüberprüfungen sind in regelmäßigen Intervallen sinnvoll. Idealerweise kommt dazu ein interdisziplinäres Behandlungsteam zusammen (Eltern, Pädiater, Orthopäde, Therapeut(en), Orthopädie- und Rehatechniker). Wenn erforderlich, werden auch apparative Untersuchungen durchgeführt, zum Beispiel mittels Röntgen, Sonographie oder auch bildgebende Darstellung des Skeletts. In den letzten Jahren hat sich die instrumentelle, dreidimensionale Ganganalyse als zusätzliches Verfahren zur Befundung und Therapieplanung etabliert.

​​​​​​​In den letzten Jahren hat sich die instrumentelle, dreidimensionale Ganganalyse als zusätzliches Verfahren zur Befundung und Therapieplanung etabliert.
 

ICP: Tonusregulierende Maßnahmen

Tonusregulierende Maßnahmen (funktionelle, ggf. neurophysiologische Therapien wie Krankengymnastik, Ergotherapie, bei Bedarf Orthesen, ggf. Medikamente) und die Unterstützung der motorischen Entwicklung stehen in den ersten Lebensjahren im Vordergrund der Behandlung. Je nach Schweregrad der Grunderkrankung wird bereits frühzeitig eine spezifische Anpassung orthopädie- und rehatechnischer Hilfsmittel nötig, um das Sitzen, Stehen und Gehen zu verbessern oder zu gewährleisten. Dabei sollten die Positionierung des Rumpfes und die Gelenkstellung an Armen und Händen sowie Beinen und Füßen möglichst physiologisch sein. Zeigt sich eine Fehlstellung trotz konservativer Therapie funktionell oder strukturell zunehmend ungünstig, können weichteilige oder knöcherne operative Korrekturen an Extremitäten oder Rumpf erforderlich werden.

 

ICP: Operative Behandlung - Knöcherne Operationsverfahren

Bei komplexen Deformitäten, Kontrakturen und Fehlstellungen der Extremitäten, können zusätzlich knöcherne Operationsverfahren indiziert sein. Sie dienen der Korrektur bzw. Stabilisierung der Hebelarme und der anatomischen Rekonstruktion der Gelenkstellung. Die jeweilige Operationstechnik und die Auswahl der Implantate/Fixierung berücksichtigt das (Wachstums-) Alter des Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen und seine cerebrale Grunderkrankung.
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Sobald eine ausreichende knöcherne Stabilität erreicht ist, wird in der Nachbehandlung eine zügige therapeutische Beübung und Aufbelastung/Remobilisierung angestrebt.  
Detaillierte Informationen zu den genannten Operationen-/OP-Techniken bei Skoliose, Hüftdysplasie, Beinachsenfehlstellung und Fußdeformitäten werden in den jeweiligen Spezialthemen aufgeführt.
 

ICP: Operative Behandlung - Weichteileingriffe

Unsere operativen Behandlungsoptionen beinhalten ein breites Spektrum an Weichteileingriffen, unter anderem Verlängerung von Muskeln/Sehnen/Faszien/Kapsel und Umlenkung/Verstärkung von Sehnen/Kapsel.
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​​​​​​​Die einzelnen Prozeduren werden je nach Befund als Mehretageneingriff an oberer und unterer Extremität durchgeführt. Wenn möglich wird nach der Operation auf eine immobilisierende Ruhigstellung im Gips verzichtet und ab dem ersten postoperativen Tag mit frühfunktioneller Therapie begonnen.
 

ICP: Individuell angepasste Therapie

In Kenntnis dieser Zusammenhänge beginnt bei Kindern mit ICP eine individuell angepasste Therapie so früh als möglich. Die (Mit) Behandlung findet in Aschau vom Säugling/Kleinkind bis ins Erwachsenenalter statt. Ein multiprofessioneller Ansatz soll Eltern und Kind unterstützen und fördern.

Wir untersuchen und verbessern diese Therapien in unserer Klinik auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien, um die optimale Funktion und Lebensqualität unserer Patienten sicherzustellen. In der nachfolgenden Aufzählung finden Sie Verweise zu den von uns durchgeführten Studien.
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​​​​​​​Physio- und Ergotherapie
  • Mobilitäts-/Krafttraining
  • Laufband/Gangtraining, Transfertraining
  • Vibrationstraining
  • Elektrostimulation
  • neurophysiologische Therapie
  • Rumpftraining, Spiegel-
  • bimanuelles Training
  • CIMTgeräte-/roboterunterstützte Therapie
Orthopädie-/Rehatechnik
  • Funktionsorthesen/Lagerungsorthesen nach Maß
  • Mieder, Korsette
  • Lagerungshilfen
  • Alltagshilfen
  • Sitzhilfen
  • Gehhilfen, Gehgeräte
  • Therapieräder
  • Stehständer, Schrägliegbrett
  • Rollstuhlversorgung
Kinder-/Neuro-Orthopädie
  • Spastikmanagement (Injektion von Botulinumtoxin)
  • Weichteil Operationen (Muskeln, Sehen, Faszien, Kapsel)
  • Knöcherne Operationen (Wachstumslenkung, dreidimensionale Korrektur der langen Röhrenknochen, Wiederherstellung der Gelenkanatomie, Korrektur und Stabilisierung von Deformitäten)
  • Wirbelsäulen Operationen (Korrekturspondylodese)

ICP: Lokale Behandlung einzelner Muskel(gruppen)

Die lokale Behandlung einzelner Muskel(gruppen) mit Botulinumtoxin A hat sich in den letzten Jahren als wichtiger Therapiepfeiler bei der Infantilen Cerebralparese etabliert. Das Botulinumtoxin wird nach vorausgehender funktioneller Diagnostik  und im Ultraschallbild kontrolliert in den spastisch überaktiven Zielmuskel injiziert. Die Wirkung des Medikamentes (Verminderung der Spastik, funktionelle Verbesserung, Schmerzlinderung) ist temporär, die Effekte halten circa 8 bis 16 Wochen (oder länger) an.

​​​​​​​Die therapeutische Wirkung kann durch zusätzliche Gips- oder Orthesenanpassung und gezielte Physiotherapie optimiert werden. Neurochirurgische Interventionen (Baclofen Pumpenimplantation, selektive dorsale Rhizotomie) werden in der Orthopädischen Kinderklinik Aschau nicht angeboten.
 

Unsere Spezialisten

Dr. med.
Stephan Wieser
Facharzt Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Unfallchirurgie, Kinderorthopädie, Manuelle Medizin, Notfallmedizin, Sportmedizin

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Ob Fragen über Behandlungsmöglichkeiten, Terminvereinbarungen oder Informationen über unsere Fördermöglichkeiten - wir beraten Sie gerne!

Wir sind für Sie da!