Hans Forkl
AMC
Die Krankheitsbezeichnung Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) beschreibt keine einheitliche Diagnose.
Die Terminologie umfasst eine heterogene Gruppe seltener syndromaler Erkrankungen. Beschrieben werden typische Symptombilder, die bei unterschiedlichen Krankheitsbildern gefunden werden.
Die Kinder zeigen multiple, nicht progrediente, angeborene Gelenkkontrakturen in verschiedenen Körperregionen. Es können sowohl die oberen und unteren Extremitäten als auch die Wirbelsäule und die Kiefergelenke betroffen sein. Nicht selten bestehen komplexe Behinderungen unter Einschluss des Gastrointestinal- und Urogenitaltraktes sowie des zentralen Nervensystems.
Ursachen
Da inzwischen mehr als 400 spezifische Erkrankungen mit arthrogrypotischen Merkmalen beschrieben wurden, sind Ätiologie und Pathogenetik sehr komplex.
Trotz der bekannten möglichen Genmutationen konnte der genaue Weg zur klinischen Präsentation der AMC noch nicht geklärt werden. Mehrere potenzielle Ursachen sind beschrieben: Neuropathische Ursachen, Struktur- oder Funktionsstörungen von Muskeln, Bindegewebsstörungen, intrauteriner Platzmangel sowie Erkrankungen der Mutter.
In der Konsequenz fehlt bei all diesen potenziellen Ursachen nach initial regelhafter Entwicklung die fetale intrauterine Beweglichkeit, die zu einem fibrösen Umbau von Muskelzellen und einer markanten bindegewebigen Verdickung der Gelenkkapseln führt.
Die Häufigkeit der AMC beträgt 1:3000 Neugeborene.
Klassifikation
Aus funktionellen und praktischen Überlegungen bewährt sich die von Hall 2014 vorgeschlagene Klassifikation in drei Subtypen:
Beim Typ 1 sind nur die Gliedmaßen betroffen, beim Typ 2 Gliedmaßen und andere Organsysteme, beim Typ 3 zusätzlich neuromuskuläre Dysfunktionen und Beteiligung des zentralen Nervensystems.
Klinisches Bild
Die klassische Arthrogrypose oder Amyoplasie ist die häufigste Form mit symmetrischen Kontrakturen der Extremitäten ohne Rumpfbeteiligung und typischem Hämangiom im Mittelgesicht. 84 % der Betroffenen haben eine Beteiligung aller vier Extremitäten, 11 % nur der Beine, 5 % nur der Arme. Über die Hälfte der Kinder hat eine zusätzliche abdominale oder urogenitale Störung.
Typischerweise besteht ein schmaler Schultergürtel mit eingedrehten Armen, Strecksteifen der Ellenbogengelenke, eingedrehten Unterarmen und Kontrakturen der Hand- und Fingergelenke in Beugestellung.
Bei der distalen AMC bestehen im Wesentlichen Deformitäten der Hände und Füße. Diese Patienten können eine kraniofaziale Beteiligung aufweisen (Gordon- und Freeman-Sheldon-Syndrom).
An den oberen Extremitäten besteht eine charakteristische Ulnardeviation der Handgelenke mit Flexionskontrakturen der Finger und adduzierte Daumen.
An den unteren Extremitäten sind die assoziierten Fußdeformitäten sehr variabel: Klumpfuß, Knick-Hackenfuß, Talus verticalis und Sichelfuß.
Die meisten Kinder mit Amyoplasie, der häufigsten Form der Arthrogryposis, können vor dem fünften Lebensjahr selbstständig gehen. Entscheidend sind der Schweregrad der Deformitäten, die Muskelkraft der Hüft- und Knieextensoren sowie die Beteiligung der oberen Extremitäten. Dabei weicht ihr Gangbild deutlich von der Norm ab.
Die Ursachen dieser Gangstörungen wurden von uns in einer Studie untersucht:
Behandlungsmethoden
Grundsätzlich erfolgt die Behandlung der Fehlstellungen und Kontrakturen angelehnt an etablierte Behandlungsschemata bei sonst gesunden Kindern.
Stets ist eine Kombination aus konservativen und operativen Maßnahmen erforderlich. Wegen zahlreicher Komorbiditäten kann das perioperative Management schwierig sein: Es bestehen meist ein schwieriger Venenstatus, erschwerte Intubationsbedingungen, ein erhöhtes Hyperthermierisiko und postoperativ ein erhöhtes Risiko für Atemprobleme.
AMC Behandlung Obere Extremitäten
Die Therapieplanung an den oberen Extremitäten umfaßt diese als Ganzes und hat die Zielstellung, möglichst viel Eigenständigkeit bei der Körperpflege und bei der Benutzung von Hilfsmitteln zur Lokomotion und Kommunikation zu erreichen.Die ersten Lebensjahre sind eine Domäne der konservativen Therapie. Hoch frequente Physio- und Ergotherapie, Gipsredressionen und Orthesenversorgungen sind stets angezeigt. Wenn die konservativen Maßnahmen ausgeschöpft sind, ist die Indikation zur operativen Behandlung zu überprüfen.
An den Schultergelenken gibt es keine etablierten orthopädisch chirurgischen Möglichkeiten, um die Funktion zu verbessern. Bei deutlicher Innendrehstellung der Arme ist allenfalls eine Drehung unterhalb des Oberarmkopfes zu diskutieren.
An den Ellenbogengelenken ist bei (trotz umfangreicher konservativer Vorbehandlung) deutlich reduzierter Beugefähigkeit eine Verlängerung des Ellenbogenstreckmuskels (Triceps bracchii) sinnvoll. Allerdings kann hierdurch nur die passive Beweglichkeit verbessert werden. Operative Verfahren zur Verbesserung der aktiven Beugefähigkeit wie z. B. Flexorenplastik oder sogar neurochirurgische Innervation der Ellenbeugemuskulatur sind umstritten.
An den Handgelenken können zum Ende des Wachstums kombiniert weichteilige und knöcherne Eingriffe zu deutlichen Funktionsverbesserungen führen und auch zu kosmetisch ansprechenden Ergebnissen, was für die jungen Patienten von großer Bedeutung ist. Selbstverständlich ist die funktionelle Verbesserung stets vorrangig.
Die Adduktionsfehlstellung der Daumen kann durch chirurgische Maßnahmen stets verbessert werden.
Die Versteifung der Fingergelenke kann jedoch operativ kaum verbessert werden, weshalb sie bei uns im Haus ausschließlich konservativ behandelt wird.
AMC Behandlung Untere Extremitäten
Auch an den unteren Extremitäten stehen zunächst konservative Maßnahmen im Vordergrund. Bei unzureichendem Erfolg werden operative Eingriffe aber deutlich früher indiziert als an den oberen Extremitäten, um eine in etwa altersgerechte Steh- und Gehfähigkeit zu erreichen. Während bei der distalen AMC gute Ergebnisse bezüglich Fußstellung und Gehfähigkeit zu erwarten sind, gestalten sich die Probleme bei der Amyoplasie schwierig und komplex, da sowohl Hüft-, Knie- und Sprunggelenke als auch die Fußstellung auffällig sind.Die Hüftgelenke zeigen in der Regel eine Abspreiz- und Außendrehfehlstellung, teilweise auch Beuge- und Streckfehlstellungen. Meistens sind die Fehlstellungen beidseits vorhanden und bei der Amyoplasie auch mit einer Hüftluxation vergesellschaftet. Den Kontrakturen wird ab dem Säuglingsalter physiotherapeutisch entgegen gewirkt, um für die Steh- und Gehfähigkeit und eventuell erforderliche operative Behandlungen bestmögliche Voraussetzungen zu schaffen.
An den Kniegelenken bestehen meist Streckfehlstellungen, die ebenfalls zunächst physiotherapeutisch ggf. in Kombination mit einer Gipsbehandlung therapiert werden. Im Laufe des ersten Lebensjahres Entscheidung über die Notwendigkeit von operativen Maßnahmen, stets in Kombination mit einer postoperativen Orthesenversorgung.
Die häufigste Fehlstellung der Füße ist der Klumpfuß, der in bis zu 90% der Fälle auftritt, gefolgt vom Talus verticalis (angeb. Plattfuß), der in ca. 10% der Fälle zu beobachten ist. Ein Hackenfuß oder ein alleiniger Sichelfuß sind ausgesprochen selten. Sowohl der Klumpfuß als auch der Talus verticalis werden zunächst einer Gipsbehandlung zugeführt. Im Gegensatz zu sonst gesunden Kindern ist das Ergebnis der Gipsbehandlung aber deutlich ungünstiger und kleine chirurgische Eingriffe wie z. B. eine Achillessehnendurchtrennung in der Regel nicht ausreichend. Egal wie das Korrekturergebnis erreicht wird, ist eine konsequente und lang dauernde Orthesenbehandlung erforderlich, um das erreichte Ergebnis zu halten.
Unsere Spezialisten
Hans Forkl
Florian Paulitsch
Daniela Lewens
Christel Schäfer
Stephan Wieser
Thomas Wolf
Johannes Wolz
Therapiemöglichkeiten
Die physiotherapeutische Behandlung bei Patient:innen mit AMC richtet sich nach den individuellen Symptomen und der Ausprägung des Krankheitsbildes. Problematisch sind die häufig eingesteiften Gelenke und die damit einhergehenden Funktionsbeinträchtigungen.
Die physiotherapeutische Behandlung sollte möglichst frühzeitig beim Neugeborenen beginnen.
Grundsätzlich verfolgen wir bei der konservativen Therapie eine Dreiteilung: Aktive Bewegungstherapie, Manuelle Therapie, Gipsredression,/Orthesenversorgung.
Durch Manuelle Therapie wird eine Verbesserung, bzw. der Erhalt der Bewegungsfreiheit der betroffenen Gelenke erreicht. Oftmals ist die Gelenkstellung (Subluxation, Rotationsfehlstellung) verändert. Ebenso ist das Erkennen der korrekten Drehachsen erschwert. Bei der Mobilisation ist sicherzustellen, dass eine möglichst korrekte Gelenkstellung eingenommen wird, um das Gelenk in der exakten Drehachse zu bewegen. Bei Missachtung dieser Vorgaben kann es zu Verletzungen der Wachstumsfugen, Knorpelschäden, Schäden am noch weichen Knochen und Weichteilverletzungen kommen.
In unserer Orthopädischen Kinderklinik kann mit Hilfe unseres ärztlichen Dienstes die korrekte Stellung (Röntgenbild, MRT, Ultraschall) erkannt und beschrieben werden. Die Eltern unserer Patienten werden in der Mobilisation der Gelenke angeleitet.
Unerlässlich ist es den erreichten Zugewinn an Gelenkbeweglichkeit durch aktive Bewegungstherapie zu fördern, z.B. Schwimmen, Tanzen, Fahrradfahren, Beinbewegungstrainier, Malen u.v.m. Ebenso konsequent müssen Orthesen eingesetzt werden. Dynamische Orthesen kommen zum Einsatz, wenn eine gewisse Restkraft vorhanden ist. Lagerungsschienen können bei guter Gelenkbeweglichkeit und Kraftverlust, sowie in Wachstumsphasen sinnvoll sein.
Im Falle einer Gipsredression (z.B. Ponsettigipse, oder Kniegelenksbeugegipse) kann zwischen den Gipswechseln die MT und aktive Bewegungsförderung durchgeführt werden.
Die Behandlung unserer Klink zielt darauf ab, dem Kind eine möglichst normale Bewegung zu ermöglichen um im Rahmen seiner Möglichkeiten selbständig zu sein.
Hilfreiche weitere Informationen finden Sie auf der Website der Interessensgemeinschaft Arthrogryposis in Deutschland Interessengemeinschaft Arthrogryposis e.V.
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